KLIMAWANDEL
IM
KOPF
von Phillip Maiwald
“Was, wenn die Art und Weise, wie wir auf die Krise reagieren
Teil der Krise ist?”
Báyò Akómoláfé
Seit Jahren denke ich über den Klimawandel nach und ich freue mich darüber, dass dies offenbar möglich ist, ohne dabei depressiv zu werden. Wenn man sich intensiv und aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit dem Klimawandel und seinen Nebenschauplätzen beschäftigt, beginnt man für diese Phänomene in ihrer Gesamtheit irgendwann ein Gefühl, eine Art subjektiven Überblick zu entwickeln. Man kann dann für sich selbst irgendwann ein paar Dinge als klar oder zumindest klarer bezeichnen. Für mich sind das mittlerweile die folgenden Punkte:
- Der Klimawandel ist in seiner Komplexität nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden erklär- oder greifbar. (Ich muss dabei fairer Weise sagen, dass in meiner Welt nichts allein durch naturwissenschaftliche Methoden allein erklärbar ist). Die modernen Wissenschaften wie die Mikrobiomforschung oder die Astro- und Quantenphysik verringern unser Verstehen der Komplexität ökologischer Systeme einmal mehr als dass sie uns orientieren. Wir brauchen erweiterte Möglichkeiten des Verstehens. „Nur die phantasielosen flüchten sich in die Realität, und zerschellen daran wie billich.“ fasste der Schriftsteller Arno Schmidt diesen Mechanismus lakonisch zusammen.
- Wir werden dem Klimawandel nicht mit unseren üblichen Vorstellungen und Vorgehensweisen begegnen, abmildern oder lösen können. Besonders absurd ist in diesem Zusammenhang die Vorstellung, dass wir in unserer materialistischen, kapitalistischen Logik bleiben können, unsere gewohnten Lebensstandards und Diskurse erhalten zu können und den Klimawandel mit den technischen Möglichkeiten eines New Green Deals oder ähnlichem begegnen können, ohne dabei unsere Haltung gegenüber der Natur – deren Teil wir ja bekanntlich sind – grundlegend ändern zu müssen. (Diese eher mechanische Sichtweise ist nebenbei bemerkt eine typisch männliche Sichtweise, wenn man diesem geschlechtsspezifischen Klischee einmal folgen möchte).
- Es ist möglich, die Ursachen für den vom Menschen gemachten Anteil der ökologischen Krise zu verstehen, wenn wir den Menschen mit all seinen Ängsten versuchen zu verstehen, denn unsere Angst ist letzten Endes die Ursache für all jene Handlungsweisen, die uns den Weg in diese Krise beschert hat: von der Zeit der Kolonialisierung über die industrielle Revolution bis in unsere hochtechnologisierte, globalisierte Gegenwart.
Was ist Postaktivismus?
Der Philosoph Bayo Akomolafe formulierte zwischen 2015 und 2016 die Idee eines Postaktivismus.
Er bezog sich dabei ursprünglich auf die feministische Autorin und Naturwissenschaftshistorikerin Donna Haraways und ihre Beschreibungen eines Komposthaufens. Akomolafe ging so von der Idee eines Kompost-Aktivismus aus, kürzte diese Begrifflichkeit aber anschließend auf den Begriff des Postaktivismus ein.
Akomolafe umschreibt den Begriff des Postaktivistischen erst einmal als ein ganz offenes und flüchtiges Prinzip und verwehrt sich grundsätzlich gegen eine einfache Definition dieses Terminus. Er spricht viel eher von myzelischen Verflechtungen, von transatlantischen Sklavenexpeditionen, verschlungenen Wegkreuzungen und Begegnungen. Der Begriff des Postaktivistischen ist in seinem Konzept von indigenen Weltsichten und von den Yoruba Black Studies inspiriert. Er positioniert den Begriff auch in einer Welt unbegreiflicher Dimension von Raum und Zeit im Sinne naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, der Holobiont-Forschung, der Astro- und Quantenphysik. Akomolafe stellt den Klimawandel exemplarisch in Verbindung mit dieser Idee des (Kom)post-Aktivismus. Er stellt die Krise also in einen sehr weit gespannten Zusammenhang und geht in seiner Betrachtung noch einen Schritt über diesen Rahmen hinaus, indem er die Krise als einen Advent im Sinne Quentin Meillassoux umschreibt; als eine Art epiphanes Ereignis, als den Eintritt von etwas Messianischem in unser Leben. Das bedeutet keineswegs, dass eine höhere Macht den Untergang der Zivilisation geplant hat und wir Menschen uns als unfreie Wesen dem für uns vorbestimmten Schicksal eines zornigen Gottes fügen sollten, genau das Gegenteil ist gemeint. Diese mysthischen Dimensionen bilden das philosophische Rückgrat eines Postaktivismus, der so auch den spirituellen Aspekten einer hyperkomplexen Wirklichkeit Rechnung trägt.
Akomolafe lädt mit seiner Idee von Postaktivismus zu einem ungewöhnlichen kulturphilosophischen Diskurs ein, der es uns ermöglichen kann, die gegenwärtige Krise als etwas anderes zu betrachten als wir es aus rationaler, naturwissenschaftlicher Perspektive gewohnt sind.
Er lässt uns an uralten Geschichten und Energien anknüpfen und hilft uns so, in Auseinandersetzung mit einer derartigen Krise emotional handlungsfähig zu bleiben, anstatt uns in verwirrenden Zahlenspielen und Statistiken einer biologistischen Erzählung, in Lethargie, Trauer oder Zorn zu verlieren.
Dieser Ansatz ist heilsam, denn unsere Aufgabe ist es heute mehr denn je, uns in dieser für uns neuen Situation der globalen Krise vorerst einmal emotional zurecht zu finden. Akomolafes Sichtweisen nachzuvollziehen ist in diesem Sinne eine stabilisierende Erfahrung, eine Übung in viel beschworener ganzheitlicher Sichtweise und Resilienz.
Postaktivismus und seine praktische Anwendbarkeit
Postaktivismus muss dabei kein theoretisches Konstrukt bleiben, Postaktivismus ist ganz praktisch und lässt sich auch auf andere Felder, wie das der Menschenrechte oder der Fragen atomarer Abrüstung adaptieren. Postaktivismus, wie ich ihn in Bezug auf ökologische Problemfelder verstehe, scheut sich nicht davor wenig anschlussfähig zu sein und sich im Abseitigen zu positionieren. Es geht vorerst nicht darum, gesellschaftliche Mehrheiten zu gewinnen.
- Postaktivismus betrachtet das Ausmaß der Krise in ihrem vollen Umfang und fängt im Kleinen an etwas zu tun oder zu unterlassen. Postaktivismus weiß um die Kraft aber auch um die Verstrickung des Einzelnen in die ökologische Krise.
- Postaktivismus hat es nicht eilig, sondern vertraut und hat Geduld ohne für jede Fragestellung sofort eine rationale, empirisch verifizierbare Lösung zu haben. Postaktivismus ist nicht laut und zornig, sondern freundlich und zuversichtlich.
- Postaktivismus verlässt die irrige dualistische Auffassung, ein feindliches Gegenüber wie beispielsweise die Erderwärmung oder einen Virus bekämpfen zu müssen. Postaktivismus verzichtet gerne auf eine Terminologie, welche historisch der Kriegsführung und dem Militär entlehnt ist.
- Postaktivismus geht davon aus, dass die Gegenwart der ökologischen Krise letztlich keine Frage der Schuld ist, auch wenn wir Menschen diese durch unser Handeln verursacht haben. Postaktivismus versteht, dass alles miteinander verbunden ist und dass das Leben auf unserem Planeten heilig ist.
- Postaktivismus versteht, dass man eine ökologische Krise nicht durch ressourcenaufwendige, grüne Technologien lösen und dabei noch in einen ökonomischen Erfolg verwandeln kann.
- Postaktivismus verliert sich nicht im intellektuellen Diskurs der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen um seiner Selbst willen, sondern setzt die Priorität auf einen umfassenden ökologischen Wandel in allen Lebensbereichen. Postaktivismus kehrt bei aller Komplexität des Lebens zum Einfachen, zum Praktischen und zum Überblick zurück.
- Postaktivismus glaubt nicht an die Macht der Mächtigen. Postaktivismus glaubt vielmehr an die Kraft der Selbstermächtigung. Wir alle sind Gestalter des kulturellen Wandels.
- Postaktivismus lehnt eine Verengung auf eine Thematik um CO2 ab und weiß um eine Welt jenseits der Zahlen. Postaktivismus ist sich der Gefahren einseitiger naturwissenschaftlicher Deutungen und Diskurse auf Grundlage vermeindlich berechenbarer Größen und statistisch beweisbarer Fakten bewusst.
- Postaktivismus schließt in Ergänzung zu naturwissenschaftlichen Sichtweisen künstlerische Sichtweisen, indigene Weltsichten, intuitive und spirituelle Techniken ein und weiß um die Kraft der Poesie.
- Postaktivismus ist letzten Endes mit dem Leid der Welt, mit unseren Ängsten, Bedürfnissen und den dunklen Farben des Lebens einverstanden, denn all diese Dinge sind Teil der Welt und Teil von uns selbst. Dieser Gedanke bedeutet aber keinesfalls, das es nicht wichtig ist, alles in unserer Kraft stehendes zu tun um jedes erdenkliche Leid zu lindern und zu vermeiden.
Welche Form des Protests brauchen wir?
Bei allen Verdiensten des klassischen Aktivismus muss man angesichts der ökologischen Krise heute feststellen, dass dieser zum Teil bürgerlich gewordene Aktivismus überwunden werden muss. Ein kosmetischer Aktivismus, der sich stets bemüht, gesellschaftlich und politisch anschlussfähig zu sein, ist eigentlich nicht bereit wirklich etwas an den bestehenden Verhältnissen zu ändern, auch wenn das Selbstverständnis jener Initiativen ein völlig anderes sein mag. Dies gilt insbesondere dann, wenn wir die durchaus positiven Effekte des konventionellen Aktivismus mit sogenannten Rebound-Effekten, Kipppunkten und sich selbst beschleunigenden Prozessen der Natur im Zusammenhang denken. Wir haben es heute mit nahezu denselben Problemen wie seit den 1980er Jahren zu tun und sind in den letzten 40 Jahren in Bezug auf den Zustand unseres Planeten kaum weitergekommen. Im Gegenteil, vieles hat sich verschlechtert, wir haben die Probleme offensichtlich ganz einfach verschleppt.
Postaktivismus – wie ich ihn verstehe – stellt deshalb vor allem die Frage danach, welche Form von Protest, welche Formen von Widerstand aber auch welche Form der Wirklichkeit wir heute überhaupt brauchen.
Es ist nicht einfach grün zu sein sagt Kermit der Frosch und er hat recht. Es ist nicht leicht und es erfordert Mut grün zu sein und in persönlichen, gesellschaftlichen und auch politischen Zusammenhängen konsequent grün zu handeln. Es ist nicht einfach, auf unnötigen Mist zu verzichten und darin einen Gewinn zu sehen. Es macht aber Sinn, in manchen Bereichen des Lebens wieder zum Einfachen zurückzukehren, sich dem Konsum zu verweigern und wieder mehr mit den eigenen Händen zu machen. Was müssen wir an lieb gewordenen Gewohnheiten über Bord werfen, auf was können wir verzichten und was müssen wir uns rigoros verbieten? Wir können nicht das Internet im ländlichen Raum weiter ausbauen und gleichzeitig das Klima retten.
Eine weitere Kernfrage ist es, wie wir uns organisieren können um zusammen zu arbeiten. Wir können uns dezentral in regionalen oder Stadtteil bezogenen Netzwerken zusammenschließen und das Zusammenarbeiten in Gemeinschaften beginnen zu üben. Sich ohne kleinkarierte Einwände zu verständigen ist im Zeitalter des Individualismus alles andere als einfach. Sein Gegenüber versuchen zu verstehen, Kompromisse auszuhalten und etwas Gemeinsames zu schaffen ist eine Kunst, die es sich lohnt mehr und mehr zu erlernen. Der Künstler Joseph Beuys nannte es die Arbeit an der sozialen Plastik. Unsere Motivation könnte eine tiefere Selbstwahrnehmung sein und das Investieren in die eigene Persönlichkeit verspricht immer auch ein tieferes Erleben von Glück.
Es ist zweifellos möglich etwas zu verändern, nichts ist alternativlos oder gar statisch. Es ist neben dem regionalen Engagement wichtig auch die ganz großen, utopischen Stellschrauben mit zu denken, denn das einzig utopische zu welchem wir keine Zuflucht suchen sollten ist im Angesicht der Klimakrise ein “Weiter so”.