Was ist Postaktivismus?

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Ich verstehe Postaktivismus durchaus als einen Aktivismus post, also nach den bisherigen uns bekannten Formen von Aktivismus. Ich verstehe Postaktivismus demnach auch als einen erweiterten, besseren, profunderen und deshalb brauchbareren Aktivismus. Postaktivismus ist dabei für meine Begriffe alles, was konzeptuell tiefer und auf generalistische, ganzheitliche Weise über die Krise als Motor von Tiefentransformation nachdenkt als das zu weiten Teilen des aktivistischen Engagements in der Vergangenheit der Fall war. Engagiertes Handeln, zeitgemäßer Aktivismus sollte heute nicht nur mitreflektieren, auf welchen Feldern wir in unserem Handeln selbst in problematische, die Krise verfestigende und fortschreibende Weise verstrickt sind. Er sollte sich darüber hinaus darüber im klaren sein, das viele der nachhaltigen Narrative, die uns heute in allen Lebensbereichen als engagiert verkauft werden mehr oder weniger auf eine Art Greenwashing oder Ablasshandel hinauslaufen. Das betrifft weite Teile der Politik und der Industrie, aber auch den Bereich des Social Entrepreneurships und geht bis in den Bereich der NGOs und Klimabewegungen selber hinein. Nachhaltigkeit ist heute zu einem unverzichtbaren Label verkommen, mit dem sich im Kapitalismus Dinge vermarkten lassen. Postaktivismus sollte einfachen und oberflächlichen Ansätzen von Problemlösungen aber auch der Hoffnung, das wir die Dinge innerhalb des gewohnten reparieren oder lösen können skeptisch gegenüber treten. Postaktivismus sollte die Grundlagen und tieferen Ursachen der Krise mitdenken. Zu den Grundlagen der Krise gehören allem voran die Themen Rassismus/Othering, Kolonialismus, Trauma und der Drang der Menschen, die „Natur“ durch naturwissenschaftliche Analyse und mit dieser verbundene Technik zu beherrschen und ohne Rücksicht auf deren Regeneration nutzbar zu machen. Postaktivismus sollte die großen Fragen der Krise mitdenken und Handlungsmuster entwickeln. Das gilt sowohl für die Notwendigkeit einer großen, zivilgesellschaftlichen Bewegung, als auch für eine philosophische und spirituelle Erweiterung unserer Sichtweisen, wenn es um Fragen des Engagements oder des zivilen Ungehorsams geht. Wenn es um spirituelle Sichtweisen und Kosmologien geht, betritt man ein weites Feld, in welchem unser Blick auf die Krise einen völlig anderen Dreh bekommt, als wir es in unserer auf wissenschaftlichen Fakten basierenden Sicht der Dinge gewohnt sind. Wir können es so – auch in Hinblick auf fernöstliche Philosophie und Spiritualität – lernen, mit sehr viel mehr Gelassenheit und Einverständnis auf die Krise zu blicken. Eine feste Verankerung in solchen Sichtweisen kann uns, wenn sie nicht auf einer eher oberflächlichen und sentimentalen oder mystifizierenden Ebene geschieht zu einer tieferen Form der Resilienz führen.

All diese genannten Anforderungen führen nicht zwangsläufig dazu, das die Dinge überkomplex und schwer verständlich dargestellt werden müssen. Die Dinge sind nicht nur komplex sondern auch einfach und wir können sie durchaus verstehen, wenn wir den Mut aufbringen, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen. Für mich persönlich erscheint dabei eine direkt-poetische oder künstlerische Annäherung an das Thema Krise weniger sinnvoll. Der Zugang zu einer Welt der Poesie, der Kunst, des chaotischen und paradoxen ist ohne Frage essenziell für einen zukünftigen Aktivismus, er findet für mich aber eher hinter den Kulissen des rationalen und praktischen statt und schliesst diesen nicht im geringsten aus.